Sprunglinks

zurück

Das Erfolgsrezept für die Tabakprävention heisst Zusammenarbeit und umfassende Massnahmen

Interview Jo Locker. Als Gastrednerin an der 4. Partnerplattform Tabakprävention stellte Jo Locker, Leiterin des Tabakprogramms bei «Public Health England», die Arbeit ihrer Organisation vor. Wir sprachen mit Jo Locker über ehrgeizige Ziele und über Allianzen und Strategien für eine erfolgreiche Prävention, mit denen Public Health England die Vision einer tabakfreien Generation erreichen will.

spectra: Die Vision von Public Health England ist eine tabakfreie Generation. Meinen Sie damit eine Null-Prozent-Raucherquote?

Jo Locker: Unser Ziel ist es, bis 2025 die Raucherquote bei den 15-Jährigen auf 5 Prozent zu senken, unabhängig davon, ob es sich um regelmässig oder gelegentlich Rauchende handelt. Im Moment rauchen etwa 13 Prozent dieser Altergruppe regelmässig oder gelegentlich. Es liegt also noch viel Arbeit vor uns. Aber wir sind der Meinung, dass das eine sehr wichtige Arbeit ist. Vor allem wollen wir verhindern, dass die jungen Gelegenheitsraucherinnen und -raucher anfangen, regelmässig zu rauchen.

 

 Sie haben die Raucherquote in Ihrem Land beträchtlich senken können. Welcher Anteil dieses Erfolgs ist der Verhältnis- und welcher der Verhaltensprävention zu verdanken?

Ich kann keine exakten Anteile nennen. Beide Ansätze sind ein unerlässlicher Teil einer umfassenden Strategie. Wir brauchen Regulierungen, um das Rauchen und Dinge wie Tabakwerbung und die Erhältlichkeit von Zigaretten einzuschränken. Wir müssen aber auch informieren und Kampagnen und Rauchstopp-Interventionen durchführen. Die Leute müssen über die Schädlichkeit des Rauchens Bescheid wissen, und sie müssen auch wissen, wo sie Unterstützung bekommen, wenn sie aufhören wollen. Es braucht beide Ansätze.

Welches war in den letzten Jahren die grösste Entwicklung in der Tabakprävention Grossbritanniens?

In den letzten zehn, fünfzehn Jahren haben wir eine umfassende Tabakpräventionsstrategie umgesetzt. Um die Menschen dabei zu unterstützen, das Rauchen aufzugeben, braucht es eine wirksame Kommunikation, Rauchverbote, Werbeeinschränkungen und Massnahmen, die Angebot und Nachfrage von Tabakprodukten betreffen. Wir verfügen im ganzen System über eine starke Führerschaft und über starke Stimmen. Dazu gehören die Regierung und die NGO, aber auch die Gesundheitsdienste. Ausserdem ist alles, was wir tun, evidenz-basiert. Kurz: wir arbeiten nach einem umfassenden Ansatz und haben eine starke Führerschaft und eine solide Evidenzbasis.

 Meinen Sie mit den starken Stimmen bestimmte Personen?

Damit meine ich hauptsächlich Organisationen. Ich habe vorhin vom Prinzip «eine Botschaft, viele Stimmen» gesprochen. Das bedeutet, dass verschiedene Organisationen eine Botschaft in verschiedenen Settings verbreiten können, indem sie die Botschaft so verpacken, dass sie möglichst gut bei dieser bestimmten Zielgruppe ankommt, sei es zum Beispiel die Regierung, die Bevölkerung oder Fachleute aus der Medizin. Unterschiedliche Menschen und Organisationen haben unterschiedliche Perspektiven auf ein Thema, trotzdem können sie alle dieselbe Botschaft verbreiten.

Welche Rolle hat Public Health England?

Public Health England wurde 2013 ins Leben gerufen. Wir sind Teil des Gesundheitsministeriums und versorgen dieses mit Expertisen und Informationen rund um Public-Health-Themen. Während das Gesundheitsministerium vor allem regulatorische Aufgaben hat, konzentrieren wir uns auf das Umsetzen, Beschaffen und Vorlegen der Evidenzbasis im Bereich Public Health. Seit es unsere Organisation gibt, haben Public-Health-Themen stark an Aufmerksamkeit und Bekanntheit gewonnen. Ein zentraler Faktor dafür ist die Kommunikation mit den relevanten Akteuren und mit der Öffentlichkeit. 

Wer hat diese Zusammenarbeit koordiniert?

Die «Smoke Free Action Coalition», die sich schon für das 2007 eingeführte Rauchverbot stark gemacht hatte, war dafür sicher zentral. Sie stand unter der Führung grösseren NGO wie «Action on Smoking and Health», kurz ASH, «Cancer Research UK» und der «British Heart Foundation». Sie bildeten die Dachorganisation für alle NGO mit dem Ziel, sich zusammen mehr Gehör zu verschaffen und mehr Konsistenz untereinander zu erreichen. So gab es plötzlich nicht mehr einfach eine NGO für Herz-Kreislauf-, eine für Atemwegs- und eine für Krebserkrankungen, sondern es kamen alle zusammen, um mehr Einfluss zu erlangen. Organisationen können sehr stark werden, wenn sie gute Beziehungen zueinander, zu Politikern und zu anderen Communitys aufbauen. Es gibt zum Beispiel eine parteienübergreifende parlamentarische Gruppe, die sich auf Tabak- und Gesundheitsthemen fokussiert. Beratung und Evidenz erhalten sie von Organisationen wie der ASH, von Cancer Research UK oder von Akademikern und Kontrollorganen. Das ist ein gutes Mittel, um Evidenz in die parlamentarische Debatte einzubringen. Es gibt zudem eine Organisation namens «UK Centre for Tobacco Control Studies», in der sich Akademiker austauschen und ihre Forschungsaktivitäten koordinieren. So kommen sie zu besseren Projekten und zu mehr Geld, und sie können ihre Forschungsergebnisse mit einer grösseren Forschergemeinde teilen.

 Ein nachahmenswertes Modell.

Ja, definitiv. Alles was wir erreicht haben ist das Resultat kollektiver, gemeinschaftlicher, und umfassender Massnahmen.

Wie reagiert die Öffentlichkeit auf die Tabakpräventionsmassnahmen?

Jährlich durchgeführte Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung Tabakpräventionsmassnahmen stark befürwortet. Über 80 Prozent der Befragten sind der Meinung, der Staat müsse mehr dagegen unternehmen, dass Kinder mit dem Rauchen anfangen. 70 Prozent sind der Meinung, der Staat engagiere sich gerade genug oder zu wenig, um die Raucherquote in der Bevölkerung zu senken. Es ist sehr hilfreich zu verstehen, was die Öffentlichkeit denkt, und es ist sehr hilfreich zu wissen, dass sie sich so klar für die Tabakpräventionsmassnahmen ausspricht und noch mehr davon wünscht. Auch für Politiker ist es wichtig, sich dieser Haltung der Bevölkerung und potenziellen Wählerschaft bewusst zu sein. Wenn man weiss, wie die Öffentlichkeit zu diesen Themen steht, kann man besser abschätzen, ob und wie sie neue Massnahmen aufnehmen wird.

Die Raucherquote in England ist von 27 Prozent im Jahr 2000 auf 18,4 Prozent im Jahr 2014 zurückgegangen. Welche Quote haben Sie im Visier?

Der aktuelle Tabakpräventionsplan für England endet mit diesem Jahr. Ziel dieses Plans ist es, die allgemeine Raucherquote auf höchstens 18,5, jene bei Schwangeren auf höchstens 11, und jene bei 15-Jährigen auf höchstens 12 Prozent zu senken. Es sieht so aus, als ob wir alle diese Ziele bis Ende 2015 erreichen werden. Der Gesundheitsminister hat kürzlich angekündigt, dass es ab 2016 einen neuen Tabakpräventionsplan für England geben wird. Wir warten nun auf dessen Veröffentlichung.

 Das jüngste Gesetz in England im Bereich der Tabakprävention ist der «Children and Families Act», also das Kinder- und Familiengesetz. Was ist dessen Hauptanliegen?

Dieses Gesetz beinhaltet eine ganze Reihe von Tabakpräventionsmassnahmen. Eine der wichtigsten ist das Rauchverbot in Autos, in denen sich Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren aufhalten. Das Gesetzt tritt am 1. Oktober dieses Jahres in Kraft.

Wie hat die Öffentlichkeit auf dieses Gesetz reagiert?

Sie hat auch dieses Gesetz sehr positiv aufgenommen. Die neusten Umfragen zeigen, dass sich rund 80 Prozent der Bevölkerung für ein Rauchverbot in Autos mit Kindern aussprechen. Es gibt generell sehr wenig Widerstand gegen Massnahmen, die Kinder und Jugendliche schützen.

Ist der nächste Schritt das Rauchverbot in Privatwohnungen, in denen Kinder leben?

Eine solche Massnahme steht derzeit nicht zur Debatte. Das neue Gesetz bezieht sich nur auf das Rauchen im Auto, denn wir wissen, dass das Rauchen in solch kleinen abgeschlossenen Räumen einen sehr hohen Giftstoffgehalt in der Luft erzeugt. Wir wissen aber auch, dass die Zahl der Kinder, die zuhause Tabakrauch ausgesetzt sind, schon seit 2007 zurückgeht. Denn seit der Einführung des Rauchverbots in abgeschlossenen Arbeits- und öffentlichen Räumen ist auch die Zahl der zuhause Rauchenden zurückgegangen. Anfangs hatte man ja befürchtet, die Leute würden mehr zuhause rauchen, wenn sie es in Bars und Restaurants nicht mehr tun dürfen. Die Forschung zeigt aber, dass dem definitiv nicht so ist. Das ist der Sensibilisierung und der Informationsvermittlung zu verdanken.

2007 wurde die Altersgrenze für den Kauf von Tabakprodukten von 16 auf 18 erhöht. Wie kommen 15-Jährige zu Zigaretten?

Sie bekommen sie leider von Freunden, älteren Geschwistern oder ihren Eltern. Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang sind geschmuggelte oder gefälschte Zigaretten, die von Kriminellen an junge Leute verkauft werden. Ein wichtiges Ziel des Tabakpräventionsprogramms ist es deshalb auch, das Angebot und die Erhältlichkeit von illegalen Produkten zu bekämpfen.

Wie hat sich die Tabakprävention in den letzten Jahren verändert?

Der Fokus hat sich nicht verändert. Es geht immer noch darum, durch das Rauchen verursachte Todesfälle zu verhindern. Tabak ist der Hauptgrund für vermeidbare Todesfälle in Grossbritannien, also muss es weiterhin das Ziel sein, die Rauchprävalenz zu senken. Wir versuchen dieses Ziel mit einer umfassenden Strategie zu erreichen.

Wie viel kann dabei mit Regulierungen erreicht werden?

Sie sind ein sehr wichtiger Teil der Strategie und wir sollten das Beste aus den bestehenden Bestimmungen herausholen. Das Werbeverbot ist zum Beispiel seit 2002 in Kraft. Es wird also bald eine Generation von jungen Menschen geben, die noch nie eine Tabakwerbung im Fernsehen oder auf einem Plakat gesehen und noch nie eine Sportveranstaltung verfolgt haben, die von einem Tabakunternehmen gesponsert wurde. Es wächst eine ganze Generation heran, die nie diesen Werbebildern ausgesetzt worden sind. Es ist sehr wichtig, diesen Trend fortzusetzen. Die Einführung von einheitlichen, neutralen Verpackungen im Jahr 2016 wird dazu beitragen, dass künftige Generationen auch weiterhin vor Tabakwerbung und -promotionen geschützt werden. Wir wissen zudem, dass die Rauchprävalenz bei den Erwachsenen einen grossen Einfluss auf das Rauchverhalten der Jugendlichen hat. Wir müssen also die Gesamtprävalenz senken um die Prävalenz bei den Jugendlichen zu senken.

  Wie steht die Bevölkerung den einheitlichen Zigarettenverpackungen gegenüber?

Aktuelle Umfragen zeigen, dass mindestens 60 Prozent der Bevölkerung diese befürworten. Es war ein wichtiges Ziel der Informationsstrategie, den Menschen zu erklären, wie stark schicke Verpackungsdesigns auf junge Menschen wirken. In Australien, wo die neutralen Verpackungen vor einem Jahr eingeführt wurden, haben viele Rauchende berichtet, ihre Zigaretten würden in diesen Verpackungen nicht mehr so gut schmecken. Es scheint also noch viel Potenzial zu geben, die bestehende Rauchprävalenz zu senken und künftige Generationen vom Rauchen abzuhalten.

 Wie hat die Tabakindustrie auf das Werbe- und Sponsoringverbot reagiert?

Das Verbot wurde mehrfach rechtlich angefochten, immer ohne Erfolg. Es wurde auch argumentiert, dass das Sponsoringverbot für Tabakunternehmen dem Sport schaden würde, etwa der Formel 1 und dem Snooker. Die finanzielle Lücke wurde aber natürlich sehr schnell von anderen Unternehmen, Branchen und Organisationen gefüllt.

  Ihre derzeitige Botschaft lautet übersetzt «Rauchen tötet immer noch».

«Rauchen tötet immer noch» («Smoking still kills») ist der Titel des neusten ASH-Berichts, der heute erscheint. «Rauchen tötet» war 1998 der Titel des Whitepapers der Regierung. Zehn Jahre später veröffentliche ASH das Dokument «Jenseits von rauchen tötet». Darin zeigte ASH auf, was wir schon erreicht hatten und wie es weitergehen sollte. Jetzt liegt der Fokus eben darauf zu betonen, dass Rauchen immer noch tötet, dass die Präventionsarbeit noch nicht erledigt ist, dass das Rauchen allein in England jährlich immer noch 80'000 vermeidbare Todesfälle verursacht, und dass es immer noch junge Menschen gibt, die mit dem Rauchen anfangen. Wir haben also immer noch viel zu tun.

  Was ist Ihre Hauptbotschaft in der Medienkampagne?

Das hängt von der Zielgruppe ab. Public Health England lanciert übers Jahr verteilt verschiedene Kampagnen. Seit ein paar Jahren läuft zwischen Januar und März eine Kampagne, bei der die Gesundheitsschäden im Zentrum stehen. Jedes Jahr arbeiten wir dabei mit einem neuen Slogan. Zuletzt waren das «Jede Zigarette lässt dich von innen heraus verfaulen» («Every cigarette rots you from the inside») oder «Mit jeden 15 Zigaretten, die du rauchst, entsteht eine Mutation, die zum Krebs werden kann» («Every 15 cigarettes you smoke cause a mutation that can become cancer»). Jeweils im Oktober lancieren wir die «Stoptober»-Kampagnen. Das ist ein Massen-Rauchstopp-Event, mit dem die Leute verschiedenster Gruppen dazu motiviert werden sollen, zusammen 28 Tage lang nicht zu rauchen und damit den Start in ein komplett rauchfreies Leben zu meistern.

 Sie haben gesagt, erfolgreiche Tabakprävention brauche eine starke Führung. Wer übernimmt diese Führung in Grossbritannien?

Die Regierung, Public Health England, NGO, der Gesundheitsdienst, alle zusammen. Wenn man das Ziel hat, das Rauchen und dessen schädlichen Folgen einzudämmen, wenn man sich hinstellen, seiner Botschaft Gehör verschaffen und die nötige Evidenz beschaffen will, braucht es quer durch das ganze System hindurch und auf allen nationalen und lokalen Ebenen starke Führungspersonen und -organisationen.

 Gefährden E-Zigaretten Ihre Anstrengungen und bisherigen Erfolge?

Mehr als 2,5 Millionen Menschen in Grossbritannien rauchen heute E-Zigaretten. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass E-Zigaretten etwa 95 Prozent weniger schädlich sind als normale Zigaretten. Wir sagen nicht, dass E-Zigaretten komplett ungefährlich sind, aber sie richten viel weniger Schaden an. Die Menschen benutzen sie für ihre Aufhörversuche oder um die Gefahren des Rauchens verringern. Derzeit kommt es kaum vor, dass ein Nichtraucher anfängt, E-Zigaretten zu rauchen. E-Zigaretten sind momentan also eher Teil der Lösung als Teil des Problems. Aber das Thema E-Zigaretten entwickelt sich gerade sehr schnell. Wir müssen wachsam sein und weiterhin beobachten, was passiert, wer diese Zigaretten raucht und mit welchen Botschaften sie umgeben werden.    

Links

Kontakt

Simone Buchmann, Kommunikationsverantwortliche der Sektion Tabak, simone.buchmann@bag.admin.ch

Nach oben